Interview mit Peter Freckmann von der Schwäbisch Hall AG zur Wohnimmobilienkreditrichtlinie
Im Magazin Vorsprung, Ausgabe April 2016 rund um die Wohnimmobilienkreditrichtlinie, wird unter anderem Rechtsanwalt Peter Freckmann von der Schäbisch Hall AG interviewt.
Sichert die Arche das Überleben in der Flut?
Start der Wohnimmobilienkreditrichtlinie: Für Banken ist es erforderlich, die aktuelle Situation hinsichtlich der neuen EU-Richtlinie detailliert im Blick zu haben. Alle Kreditabschlüsse zur Immobilienfinanzierung seit dem 21. März 2016 sind von ihr betroffen. Und das in einer Zeit, in der die Abschlüsse von Verbraucher-Krediten maßgeblich über Erfolg oder Misserfolg einer Bank entscheiden. Insbesondere Immobilienkredite – sie sind Teil des Aktivgeschäftes und generieren wichtige Erträge. Wie also sieht es am Markt aus, zu Beginn des Livegangs der Wohnimmobilienkreditrichtlinie?
Wir haben den Rechtsanwalt Peter Freckmann getroffen, der die Entwicklung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie seit ihrer Veröffentlichung im Jahr 2011 durch die EU-Kommission verfolgt. Seit 25 Jahren beschäftigt er sich mit bankrechtlichen Fragen in der Rechtsabteilung der Bausparkasse Schwäbisch Hall AG, darunter alle großen Gesetzgebungsprojekte im Bereich Verbraucherschutz bei Banken. Er hat viele Entwicklungen in den Rechtsabteilungen der Banken in puncto Verbraucherschutzgesetze verfolgt, die unterschiedlichen Betrachtungs- und Vorgehensweisen von Kreditinstituten kennengelernt, Entscheider geschult und beraten. Zuletzt auch zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Wir haben den Experten für gesetzgeberische Umsetzungsprojekte in Kreditinstituten nun zur aktuellen Situation befragt.
Guten Tag Herr Freckmann! Wagen wir einen „Vorsprung“ und erlauben uns einen ersten Blick auf die aktuelle Lage hinsichtlich der Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Welches Bild fällt Ihnen spontan zum Inkrafttreten ein?
Da fällt mir direkt ein ziemlich archaisches Bild ein – nämlich das des Baus einer Arche. Warum? Sie wird aus vielen verschiedenen Teilen zusammengesetzt: aus bereits vorhandenen und neu gefundenen Teilen. So ist es auch bei der Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Wird diese „Arche“ nicht ordnungsgemäß zusammengebaut, geht sie unter.
Wo wir gerade bei archaisch sind… Ist die Wohnimmobilienkreditrichtlinie aus Ihrer Sicht als Jurist eher Fluch oder Segen? Und warum?
Das ist eine rechtspolitische Frage – In meinen Augen ist es tatsächlich eher ein Fluch und zwar für alle Anwender, also Verbraucher und Kreditinstitute. Komplexe, manchmal in sich widersprüchliche und unübersichtliche Regelungen schaffen keinen Mehrwert für den Verbraucherschutz. Das ist „information overload“ für den Verbraucher. Für die Kreditinstitute erhöhen sich die Stückkosten in einem umkämpften Geschäftsfeld.
Wie beurteilen Sie den „holprigen“ Einführungs- bzw. Gesetzesänderungsprozess seitens der Bundesregierung? Spricht das für eine „neue“ Qualität in zukünftigen Gesetzgebungsprozessen und deren inhaltliche Auswirkungen?
Meine Beobachtung ist, dass immer mehr Gesetze in einer immer schneller werdenden Geschwindigkeit beschlossen werden. Dabei treffen sie auf eine bereits bestehende komplexe Wirklichkeit, die schwer zu überblicken ist.
Wie gut schätzen Sie, sind Banken auf die Neuerungen vorbereitet?
Insgesamt sehe ich in der Branche große Anstrengungen für eine wirksame Umsetzung. Das Ergebnis wird meines Erachtens im Einzelnen davon abhängen, wie frühzeitig sich eine Bank mit dem Thema auseinandergesetzt hat.
Was, denken Sie, sind die Konsequenzen einer fehlenden Vorbereitung?
Ich sehe hier teilweise gravierende Rechtsrisiken von der Vertragsanbahnung bis zur Kreditwürdigkeitsprüfung.
Was sind die gravierendsten Änderungen durch den Start der Richtlinie? Was die größten Herausforderungen?
Die Vorschrift zur Beratung hat sicher dazu geführt, dass in erster Linie die Beratungsprozesse intensiv überarbeitet wurden. Die größte Herausforderung bringt das neue ESIS-Merkblatt mit sich. Schließlich gibt es bei der Kreditwürdigkeitsprüfung eine grundlegende Veränderung der Sichtweise: Banken müssen das Thema jetzt aus Kundensicht denken.
Wie wird der Verbraucher reagieren?
Der Verbraucher muss versuchen, sich mit der neuen Informationsflut „anzufreunden“, wurde sie doch in seinem Interesse eingeführt.
Inwiefern könnte es durch die Wohnimmobilienkreditrichtlinie zu einer Bereinigung am Markt kommen? Welche Banken werden dem zum Opfer fallen?
Ich denke, dass generell alle Institutsgruppen vor großen administrativen Herausforderungen stehen. Speziell kleinere örtliche Kreditinstitute werden immer mehr Schwierigkeiten haben, ausreichend qualifiziertes Personal für die Umsetzung abstellen zu können.
Müssen sich die Rechtsabteilungen der Banken jetzt auf eine Welle von Klagen vorbereiten?
Ich glaube, dass sich die Umsetzungsmaßnahmen insgesamt sehen lassen können, so dass ich derzeit nicht mit „Massenphänomenen“ rechne wie bei dem bekannten „Widerrufsjoker“ – der ja jetzt auch sein Ende finden wird. Aber wer kann das heute schon abschließend beurteilen?
Wie beurteilen Sie das geplante Aus des Widerrufsjokers?
Lieber ein Schrecken mit Ende als ein Schrecken ohne Ende.
Wie schätzen Sie die Situation ein: Sind die Möglichkeiten durch die Digitalisierung in dieser Situation eine Hilfe für Banken? Beispielsweise, wenn es um Revisionssicherheit geht? Und wenn, ja in welcher Form? Wenn nein, warum nicht?
Die Banken müssen sich die Möglichkeiten der Digitalisierung überall zu Nutze machen, wo es möglich ist. Hier wird sicherlich nach dem Stichtag noch einiges nachjustiert werden, um hier Stück für Stück noch besser werden zu können.
Haben Sie konkrete Tipps, was Bankentscheider jetzt hinsichtlich der Wohnimmobilienkreditrichtlinie tun sollten?
Eigentlich müssten ja alle Umsetzungsentscheidungen schon getroffen sein. Der Beratungsprozess, der Prozessablauf der einzelnen vorvertraglichen Informationen und die Kreditwürdigkeitsprüfung erfordern besondere Aufmerksamkeit – hier sollte man auch nach dem Stichtag einfach nochmal eine Art Umsetzungscheck machen, ob auch wirklich alles in der Praxis so funktioniert, wie man es sich im Projekt vorgestellt hat.
Halten Sie das Gesetz nun für einen praktikablen Kompromiss für den deutschen Markt?
Der deutsche Gesetzgeber hatte nicht viele Spielräume zur Umsetzung. Gegebenenfalls liegt das Übel schon in der Richtlinie. Dies aber sollte die Aufmerksamkeit darauf richten, sich schon mit den Richtlinieninhalten zu befassen und nicht erst dann, wenn das deutsche Umsetzungsgesetz jeweils ansteht. Spielräume müssen in der Richtlinie geschaffen werden, damit man sie in der nationalen Umsetzung ausnutzen kann.
Vielen Dank, Herr Freckmann. Wir wagen sicherlich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal gemeinsam mit Ihnen einen „Vorsprung“ und werfen einen Blick auf die Entwicklung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und Ihre Umsetzung am Markt!
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