„In welchem Wasser kochen Sie?“ – Prof. Dr. Stephan Jansen auf Workshop der PRO-DIRECT-FINANCE zur Digitalisierung der Bankenwelt
„Ich bin gerne böse“, warnt Prof. Dr. Stephan Jansen bei dem Jahres-Workshop des Berliner IT-Unternehmens PRO-DIRECT-FINANCE seine Zuhörer schmunzelnd vor. Und der renommierte Wirtschaftswissenschaftler von der Karlshochschule in Karlsruhe hält Wort: In den folgenden rund sechzig Minuten rüttelt er die anwesenden Vertreter aus der Banken- und Finanzbranche auf, legt den Zeigefinger dorthin, wo es eingefahrenen Strukturen besonders weh tut: Die Notwendigkeit von Veränderungen. Dabei seien neue Technologien lediglich Grundvoraussetzungen – entscheidend sei es, Talente zu finden, die diese in den Markt transportieren können, um Toleranz für neue Lösungen zu schaffen. „Wir brauchen einen new deal: Eine neue Akzeptanz von Financial Services“, so Jansen zentrale Forderung.
Gemeinsam die Baufinanzierung der Zukunft gestalten – Unter diesem Leitmotiv lädt die PRO-DIRECT-FINANCE, Marktführer im Bereich von Softwarelösungen für die Baufinanzierungsbranche, zum Kreativworkshop. Es nahmen Vertreter aus der Banken- und Finanzbranche teil. Veranstaltungsort war ein historischer Landsitz in der Nähe von Berlin.
Als Impulsgeber eröffnete Prof. Dr. Stephan Jansen mit seinem Vortrag über „Das Gesellschaftsspiel des Guten und die Financial Services.“ Darin analysiert er die Situation der Bankenbranche aus Makro, Mikro und Nano-Ebene mit Blick auf disruptive Technologien, andersartige Talente und gesellschaftliche Toleranz.
Welche Existenzberechtigung haben Banken überhaupt noch?
Insbesondere die mikroökonomische Sicht verdeutlicht, wie lebensnotwendig es ist, an Veränderungen zu arbeiten. Jansens provokante These: „Banken sind nicht mehr systemrelevant.“ Den Menschen ist nicht mehr klar, welche Berechtigung Banken überhaupt noch haben. Sind sie Risikotransformatoren oder generieren sie das Risiko erst? Diese Frage werde quer durch viele wissenschaftliche Disziplinen – vor allem außerhalb der Wirtschaftswissenschaft – aktuell diskutiert, so Jansen.
Der Grund dafür ist nicht nur die große Finanzkrise 2008. Denn die Krise sei nach einer regelmäßigen Frequenz von Skandalen und Zusammenbrüchen zum Normalzustand in der Bankenwelt geworden. Dadurch habe die Akzeptanz in der Bevölkerung gelitten. „Sie haben Ihre wichtigste Währung verspielt: das Vertrauen im wichtigsten Vermögen: dem Beziehungskapital“, so Jansen eindringlich zu den Anwesenden.
Digitale Entwicklungen genau beobachten, rechtzeitig klug handeln!
Hinzu kommen existenzielle Gefahren, mit denen sich Banker künftig auseinander setzen müssen: Unter anderem neue Marktteilnehmer, FinTechs und technologische Innovationen rund um Datenanalysen machen den Wettbewerb schärfer, zwingen zu Veränderung. Dabei zeichnet Jansen das Bild eines Frosches, der allmählich gekocht wird, ohne es zu merken: Werfe man einen Frosch in einen Topf mit kochendem Wasser, springe er wieder hinaus. Befinde sich hingegen ein Frosch in Wasser, das langsam erhitzt wird, merke er die Veränderung der Temperatur nicht und werde ohne Gegenwehr lebendig gekocht. Rein biologisch ist Jansens Metapher zwar nicht haltbar, trotzdem beschreibt sie eindrücklich die Situation von Banken, die oft starre, verkrustete Strukturen aufweisen. Sprich: Um auf Dauer am Markt bestehen zu können, darf es im warmen Wasser nicht zu gemütlich werden. Die digitalen Entwicklungen müssen beobachtet werden, um rechtzeitig vorausschauend handeln zu können. „Die Frage ist: In welchem Wasser kochen Sie gerade, ohne herauszuspringen“, so Jansen provokant in die Runde. „Welche Baufinanzierung, die Sie heute noch als Lösung erachten, könnte morgen schon Ihr Problem sein?“ Es sei wichtig, sich über neue Geschäftsmodelle Gedanken zu machen – und zwar zum richtigen Zeitpunkt und mit klugem Blick auf aktuelle Entwicklungen.
Talenten gehört die Zukunft der Financial Services
Doch bevor eine Innovation sich wirklich durchsetzt, muss sie die „kulturelle Phasenverschiebung“ zum Neuen erreichen, also an den durch kulturell eingeübte Praxen bedingten Zeitverlusten arbeiten, so Jansen. Denn technische Innovation alleine reicht nicht. Dafür braucht es soziale Innovation und die beschreibt Jansen so: „Eine infektiöse, also sich selbst verstärkende Idee institutioneller, interaktionistischer und instrumenteller Veränderungen für die gesellschaftliche Akzeptanz.“ Dafür braucht es das richtige Timing und gutes Personal, das technische Innovationen mit einer positiven Überzeugung, also einer Geschichte des Gelingens, zum passenden Zeitpunkt in den Markt bringen kann. Diese Talente werden künftig nicht nur demographie-, sondern vor allem reputationsbedingt rar, was die Branche bisher kaum kannte. Kluge Unternehmen schauen bereits jetzt nach Mitarbeitern und Partnern, die Innovationen nach vorne treiben, neue Geschäftsmodelle entwickeln und Beziehungsfähigkeit zum Kunden als zentral erachten. Diesen Menschen gehöre die „Zukunft der Financial Services“, es ist eine neue Generation von Bankiers – nach all den Bankern.
Gesellschaftsspiel des Guten und die Zeit nach der Digitalisierung
Und wenn die Innovation erfolgreich implementiert wurde? Laut Jansen muss die „Zeit danach“ bereits jetzt im Blick gehalten werden, um die richtigen Schritte einzuleiten. Dafür stellt er fünf Thesen auf:
1.) Durch Kosteneinsparungen und höhere Digitalisierungsrenditen wird es Banken möglich sein, die Beziehungsebene zu stärken. Das heißt, es wird einen Schritt zurück zur intensiven, persönlichen Betreuung und einer stärkeren zwischenmenschlichen Geschäftsbeziehung geben.
2.) Neue, innovative Finanzierungsformen werden entstehen. Die Frage nach sinnvollen Investitionsmöglichkeiten des angesammelten Vermögens, das durch stabile Rahmenbedingungen (Keine Kriege, keine Inflation etc.) entstanden ist, wird Banken verstärkt beschäftigen. Ein Beispiel hierfür ist das „Mission Investing“, bei dem Stiftungsanlagen enger mit dem Stiftungszweck verbunden sind als es zurzeit der Fall ist.
Großprojekte werden dabei mit einem philanthropischen Ansatz kollaborativ von Bevölkerung, Verbänden, Stiftungen, Finanzinstituten und Unternehmen angegangen. Das Vorbild sind Weltkonzerne im Silicon Valley, die auf ihrer nach außen hin getragenen Agenda meist keine Gewinnoptimierung stehen haben, sondern die Verbesserung von weltweiten, grundlegenden Problemen. Als Beispiele dafür nennt Jansen die Bill Gates-Stiftung oder Googles Plan, bis 2040 den Tod abzuschaffen.
3.) Die im Schnitt bereits überdurchschnittlich hoch qualifizierten Bankenmitarbeiter werden neue Formen von Weiterbildungen benötigen: „Formate, die die soziale Intelligenz nicht weiter so beleidigen.“ Dies sei auch eine ethische Verantwortung, da in dem Bereich der Financial Services eine überdurchschnittliche hohe Möglichkeit der „Algorithmisierung bestehender Arbeit“ besteht.
4.) Neue Geschäftsmodelle mit Mehrwert müssen von den Banken getestet und in den Markt gebracht werden – auch als Exportprodukte. Beispiele dafür sind für Jansen Altersvorsorge-Systeme, die als Exportschlager in Länder wie China verkauft werden könnten.
5.) Big Data- und Predictive Analytics-Technologie werden auch von Finanzinstituten zum Benefit aller eingesetzt, um Wohlfahrts-Potenzial zu entdecken und zu realisieren. Diese „Schatzsuche“ wird nicht „gegen“ die Kunden, sondern Hand in Hand mit ihnen angegangen.
Die Zeit nach der technischen und sozialen Innovation ist also eine Zeit, an der alle Parteien an einem Strang ziehen, um gesamtgesellschaftliche Probleme zu lösen und das Leben zu verbessern. Denn wie bei jedem Gesellschaftsspiel geht es auch beim „Gesellschaftsspiel des Guten“ nicht zentral darum zu gewinnen, sondern zum Nutzen aller miteinander eine gute Zeit zu haben. Damit Banken diese Ära miterleben können, ist es wichtig, umzudenken und das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Dafür brauche es einen „new deal“: Finanzinstitute müssen lernen, rigoros offen, transparent und nachhaltig zu sein und aus Sicht ihrer Kunden zu denken.